Zwischen Geschmack, Gefallen und Erkennen


 

Um unsere Position dem Leser in anschaulicher, vertiefter und elegant formulierter Weise noch näher zu erläutern, führen wir hier eine kleine Auswahl von Zitaten auf, von denen wir hoffen, dass sie den an "Kunst" interessierten Leser neugierig auf die Originalliteratur machen.

Hinweis: Die zitierten Werke werden in der Folge nicht um ihrer selbst willen, sondern als Erörterungsgrundlage, Argumentationsunterstützung und sachbezogene Ergänzung aufgeführt, somit besteht eine innere Verbindung zwischen dem zitierten und dem zitierenden Werk. Der Schwergewicht dieser Webseite liegt auf der eigenen geistigen Auseinandersetzung mit dem hier behandelten Thema- die Zitatsammlung ist also hier als unterstützendes, sachbezogenes Hilfsmittel für die eigene Argumentation anzusehen.

 

Jean- Christophe Amman
Bei näherer Betrachtung - Zeitgenössische Kunst verstehen und deuten
Westend Verlag
2007
ISBN 978-3-938060-21-6

Seite 11

"Jedoch erschließt sich das Kunstwerk nicht über den Geschmack . Das Kunstwerk tut uns nicht den Gefallen, uns zu gefallen- auch wenn zugegebenermaßen die Sinnesfunktionen wie riechen, schmecken, fühlen, hören, sehen über beachtliche Anziehungskraft verfügen.

Das Kunstwerk ist vielmehr ein sinnlich wahrnehmbarer Denkgegenstand. Das heißt, indem ich es wahrnehme, löst es ein Erkennen in mir aus, das über die Wahrnehmiung allein über die Sinnesorgane hinausgeht. Erkennen hat mit Bewusstsein zu tun. Ebenso wir das Kunstwerk einen Bewusstseinsakt darstellt, ist auch das Erkennen ein Bewusstseinsakt. Wer auf der Ebene "gefällt mir- gefällt mir nicht" operiert, wird früher oder später erkennen , dass sich der eigene Geschmack verändert und somit das Kunstwerk dem veränderten Anspruch nicht mehr gerecht wird. Umgekehrt wird er feststellen, dass die Annäherung an das Werk, die wahrnehmungsspezifische Einübung in dessen Besonderheit nicht nur den Geschmackswandel überdauert, sondern immer mehr auch geistiger Bestandteil seines Denkens bleiben wird."

Seite 17

"Ein letztes Wort gilt der Verführung. Auch Kunstwerke besitzen ein Verführungspotential, besonders wenn sie die Anziehungskraft des "Geschmacks" ansprechen. Sa fast jeder Mensch verführbar ist, gibt es eben auch Kunstwerke, die uns , da wir eine gewisse Affinität zu ihnen verspüren, in die Falle locken. So wie Geschmackskriterien statistisch zu ermitteln sind, können auch Kunstwerke entsprechend programmiert werden.

Aber wir können diese Problematik auch auf einer anderen Ebene betrachten. Wie in der Liebe gibt es in Bezug auf Kunstwerke den "coup de fourdre" ( sich Hals über Kopf verlieben). Die Liebe auf den ersten Blick kann, muss aber keineswegs in einer Enttäuschung münden. Die Gegenposition zur Liebe auf den ersten Blick besteht in der Annäherung. ...

Etwas Fremdes begegnet mir, das mich zugleich anzieht und sich mir verweigert, das dennoch Signale aussendet, die mich wach halten. Es sind Werke, die Unbekanntes in mir ansprechen, die mich in meiner Neugier weniger bestätigen als mich vielmehr dazu auffordern, eine andere Vorstellung meiner selbst auszuloten. Auch dies hat mit der Qualität eines Kunstwerks zu tun, denn es fordert mich auf, die Welt, die unablässig auf mich einwirkt, auf andere Weise zu sehen. "

Seite 18

Was tut eigentlich ein Künstler ? Er arbeitet an etwas, dessen Endprodukt er nur sehr unscharf erkennen kann. Wüßte er im voraus, wie dieses Endprodukt aussieht, würde er wahrscheinlich das Tun unterlassen. Der Künstler ist kein Designer, der eine Form erprobt und anvisiert. Für ihn gilt das paulinische Wort, dass der Weg das Ziel ist. Der Künstler ist, weil zweckfrei, der beispielhaft Handelnde, er gleicht dem Forscher. er hat zwar eine Vorstellung, aber er ist stets mit dem Scheitern konfrontiert. Denn das , was entsteht, entspricht moglicherweise nicht seiner Vorstellung, also verändert er das Tun oder er verändert die Vorstellung. Man kann auch sagen: das Tun verändert kontinuierlich die Vorstellung, weil das Tun wichtiger ist als die Vorstellung.

Seite 23

"(Künstler) binden die kollektive Biographie in eine sinnerzeugende Sicht von Welt. Die einst kollektiv codierten Bildsprachen sind heute individuell. Das erschwert die "Lektüre". Nichtsdestoweniger transportieren Bildsprachen Inhalte, die anderweitig nicht transportierbar sind."

Seite 52

"Wahrnehmen heißt hier, dass eine immanente , intuitive Dimension in meine Bildvorstellung eindringt, sie verändert, neue Bilder schafft, mich zu neuen Bildern führt, mich in anderen Bildern denken lässt, mich lehrt, mit Bildern umzugehen. Was kann wichtiger sein in einer heutigen Wwelt, in der jeder tagtäglich mit Tausenden Bildern konfrontiert ist ? Wieso glaubt man, dass das Nichtlesenkönnen von Bildern unschädlicher ist als Analphabetismus ?"


Seite 103

"Aber erst die Beherrschung der Form schafft den Zugang zu den Inhalten. "


 

Jean-Christophe Amman
Das Glück zu sehen ; Kunst beginnt dort, wo der Geschmack aufhört
Lindinger + Schmid Verlag
1998
ISBN 3-929970-35-X

Seite 15

"Das Problem ist, dass wir über Kreativität noch viel zu wenig wissen. Kreativität besteht eben nicht nur in der Fähigkeit des Kombinierens unterschiedlicher Sinn-, Bedeutungs- und Funktionsebenen sowie des Erkennens von daraus resultierenden Zusammenhängen . Kreativität verlangt nach der Fähigkeit, in sich selbst hineinzuhorchen. Nur wenige besitzen diese Fähigkeit."

Seite 17

"Zum anderen kann ich mir vorstellen, dass die Malerei , das Menschenbild und dessen Gegenständlichkeit eine Renaissance erfahren werden, denn die Langsamkeit der Pinselführung gleicht dem Hineinhorchen in den eigenen Resonanzkörper. "

Seite 18

"Was tut eigentlich ein Künstler ? Er arbeitet an etwas, dessen Endprodukt er nur sehr unscharf erkennen kann. Wüßte er im voraus, wie dieses Endprodukt aussieht, würde er wahrscheinlich das Tun unterlassen. Der Künstler ist kein Designer, der eine Form erprobt und anvisiert. Für ihn gilt das paulinische Wort, dass der Weg das Ziel ist. Der Künstler ist, weil zweckfrei, der beispielhaft Handelnde, er gleicht dem Forscher. Er hat zwar eine Vorstellung, aber er ist stets mit dem Scheitern konfrontiert. Denn das , was entsteht, entspricht moglicherweise nicht seiner Vorstellung, also verändert er das Tun oder er verändert die Vorstellung. Man kann auch sagen: das Tun verändert kontinuierlich die Vorstellung, weil das Tun wichtiger ist als die Vorstellung. "

Seite 22

Wenn Kunst eine reale Symbolsprache ist, das heißt, eine Sprache, die konkrete Inhalt transportiert, dann werden die Bildsprachen der Kunst zu einem lebenswichtigen und lebenserhaltenden Kommunikationsmittel.

... Stärker als bisher wird sich die Kunst zum Menschen hin öffnen, wird sie Bilder und Emotionen , die ihn bewegen, in sich tragen, wird ihm das Staunen über sich selbst nahe bringen

Seite 23

Zitat von Kurt Weidemann : In dem Maße, wie wir Geschwindigkeiten und Beschleunigungen auf eine nicht mehr erfassbare Weise hochgetrieben haben, sind unsere Sinnfragen zum Stillstand gekommen. Wir treiben uns in die Einsamkeit. Das vernichtet das Geistesleben. Wie sollte man da ein entspannteres Verhältnis zur Zeit, für Zeitvergehen und Zeitgewinn, bekommen. Jeder versucht seiner Gegenwart- zunehmend hemmungsloser- einen Gegenwert abzujagen. Das gibt dem Dasein kein Bewußtsein mehr.

Seite 40

Tatsache ist, dass heute alle Medien, von den traditionellen bis zu den avanciertesten, gleichermaßen und gleichberechtigt zur Verfügung stehen. (Die Vorstellung, dass beispielsweise der Internetkünstler "moderner" sei als der Bildhauer, ist nicht vertretbar. )


Michael Hauskeller :
Was ist Kunst ?
becksche Reihe
2005
ISBN 3 406 45999 4

S 101 (der folgende Abschnitt bezieht sich auf Arthur C.Danto)

"Ein Kunstwerk hat Eigenschaften, die ein gewöhnlicher materieller Gegenstand nicht hat, jedoch unsichtbare. Wenn ich weiß, worüber es ist, verändert sich vielleicht meine Wahrnehmung; aber nicht derart, dass ich nun etwas sehe, was mir vorher entging. Wenn ich etwas anderes sehe, dann deshalb, weil an die Stelle eines bloßen Dinges ein Kunstwerk getreten ist. Das Ding wird zur Kunst durch die Möglichkeit seiner Interpretation. Läßt etwas keine Interpretation zu oder bedarf es ihrer nicht, kann es sich nicht um Kunst handeln. Die Wirkung der Kunst beruht also nicht ...-auf so etwas wie einem unvermittelten, gedankenfreien Stoß. Danto zufolge macht erst die Interpretation ein Werk zu dem, was es ist, wobei sich nicht jedes Ding für jede beliebige Interpretation eignet. Interpretieren bedeutet, die Beziehung zwischen dem Werk und seinem materiellen Substrat aufzuzeigen , und das wiederum setzt voraus, dass es eine solche Beziehung gibt. "

103

Da sich der Kontext, in dem ein Werk entstanden ist, nicht von ihm trennen lässt, ohne ihm seine künstlerische Identität zu rauben, setzt ein angemessenes Verständnis seiner Bedeutung ein Vertrautsein mit diesem Kontext voraus. Kunstwerke haben die Kraft eines Textes, sofern man sie zu lesen versteht. Wie Worte sind nur verständlich, wenn man die Sprache beherrscht, der sie angehören, und das kennt, was sie bezeichnen. Außerhalb des entsprechenden Bezugsrahmens hört das Wort auf, Wort zu sein. Es wird zu einem bloßen, bedeutungslosen Laut.

Ob ein Gegenstand ein Kunstwerk ist oder nicht, hängt also nicht von seiner materiellen Beschaffenheit ab, sondern von seiner Aussagefähigkeit. Die Reißnägel an meiner Wand mögen nützlich sein, sogar schön, aber sie sind nicht dort, um etwas zu bedeuten, und so bedeuten sie auch nichts, Dennoch mag „ein Werk, dessen materielles Gegenstück aus drei Reißnägeln besteht, (…) Abgründe von Bedeutungen haben, die auf ein kosmisch-religiöses Schaudern die angemessene ästhetische Reaktion sein könnte." Auf diese Weise geht Kunst, so wie es Hegel vorausgesehen hat, in Philosophie über, lässt sich aber gleichwohl nicht durch sie ersetzen. Die begriffliche Interpretation ist zwar notwendig, um ein Kunstwerk überhaupt als solches verstehen zu können, sie kann aber nicht an seine Stelle treten, weil das Werk die Struktur einer Metapher hat.

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